Pflege-Report 2017

Die Versorgung der Pflegebedürftigen

Der Pflege-Report 2017 stellt Pflegebedürftige und ihre Versorgung in den Mittelpunkt. Er betrachtet den Zustand „Pflegebedürftigkeit“ mit seinen vielfältigen Facetten und den Versorgungsbedarf verschiedener Teilgruppen von Pflegebedürftigen. Spezialisten analysieren die Bedarfsgerechtigkeit der heutigen pflegerischen und gesundheitlichen Versorgung und zeigen Perspektiven zu ihrer Weiterentwicklung und Verbesserung auf.

Leitfragen dieses Reports sind: 

  • Wer sind die Pflegebedürftigen und was ist ihr zentraler Versorgungsbedarf?
  • Wie ist die pflegerische und gesundheitliche Versorgung von Pflegebedürftigen heute ausgestaltet?
  • Werden die heutigen Versorgungsstrukturen den Bedürfnissen Pflegebedürftiger gerecht?
  • Wie kann die Versorgung der Pflegebedürftigen gezielt verbessert werden?

Inhaltsverzeichnis

TEIL I Schwerpunkt: Die Versorgung der Pflegebedürftigen

Der Zustand Pflegebedürftigkeit und seine Einflussfaktoren im hohen Lebensalter

Stefan Blüher, Susanne Schnitzer und Adelheid Kuhlmey

Pflegebedürftig zu werden und damit im Alltag auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein ist zu einem allgemeinen Lebensrisiko vor allem für sehr alte Menschen geworden (vgl. Kuhlmey et al. 2013). Pflegebedürftigkeit wird in Deutschland – mit Verabschiedung des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (und ab 01.01.2017 umgesetzt) – als Grad der Beeinträchtigung der Selbständigkeit und der Abhängigkeit von personeller Hilfe in unterschiedlichen Lebensbereichen und bei Aktivitäten bestimmt. Einen international vereinbarten und gültigen Begriff von Pflegebedürftigkeit gibt es bis heute nicht, aber es besteht Konsens dahingehend, dass in jedem Falle eine Abhängigkeit von personeller Hilfe besteht (Dorin und Büscher 2012). In welchem Zustand befinden sich alte Menschen, denen es unmöglich geworden ist, den Lebensalltag allein zu meistern? Was sind die Ursachen der Entstehung dieses Zustandes? Welche Determinanten hängen mit der Pflegebedürftigkeit zusammen? Diesen Fragen geht der Beitrag nach. Denn noch ist nicht bekannt, an welchem Kumulationspunkt körperlicher Leiden, psychischer Einbußen und sozialer Konstellationen dieser qualitativ andere und von einer chronisch körperlichen oder psychischen Krankheit differente Gesundheits- beziehungsweise Krankheitszustand entsteht.

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff im Recht der Pflegeversicherung – Paradigmenwechsel (auch) für die pflegerische Versorgung

Heike Hoffer

Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2017 ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsinstrument im Recht der Pflegeversicherung umgesetzt. Der Beitrag fasst die Auswirkungen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs auf das Verständnis von Pflege und die daraus resultierenden Folgen insbesondere für die Einrichtungen, das Qualitätsverständnis und die vertraglichen Grundlagen einschließlich der Personalausstattung zusammen.

Pflegebedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen und ihre Bedeutung für die Familien

Christopher Kofahl, Oliver Matzke, Pablo Bade Verdugo und Daniel Lüdecke

In Deutschland sind derzeit circa 75.000 Kinder unter 15 Jahren pflegebedürftig im Sinne des SGB XI und etwa 130.000 Kinder schwerbehindert im Sinne des SGB IX. Die betroffenen Kinder werden fast ausnahmslos in ihrer Häuslichkeit betreut, versorgt und gepflegt (99,5 Prozent ) – in der Regel durch ihre Mütter. Die Betreuungs- und Pflegebedarfe stellen hohe Belastungen für das gesamte Familiensystem dar. Eltern von pflegebedürftigen und/oder behinderten Kindern haben im Vergleich mit Eltern gesunder Kinder eine signifikant schlechtere körperliche wie seelische Gesundheit, geringere Lebensqualität und eine deutlich schlechtere wirtschaftliche Situation durch Karriere- und Erwerbseinbrüche. Belastungen und Beeinträchtigungen zeigen sich auch bei den Geschwisterkindern. Es gibt aber auch Hinweise, dass die betroffenen Familiensysteme an den Herausforderungen erstarken und einen engen Familienzusammenhalt entwickeln. Die betroffenen Familien sind auf umfassende Information, Beratung und Unterstützung angewiesen. Den komplexen Bedarfslagen über alle relevanten Sozialgesetzbücher hinweg zu begegnen gelingt jedoch trotz existierender Reha-Servicestellen und Pflegestützpunkte noch nicht befriedigend. Auf Basis internationaler Studien und der Ergebnisse der vom AOK-Bundesverband geförderten Kindernetzwerkstudie 2013/2014 mit 1.567 Eltern chronisch kranker und/oder behinderter Kinder stellt der Beitrag die Lebenssituation von Familien mit pflegebedürftigen Kindern dar.

Pflege von Menschen mit Behinderung – Herausforderungen und Handlungserfordernisse

Karin Tiesmeyer

Das Thema „Pflege von Menschen mit Behinderung“ gewinnt zunehmend an Relevanz, wird jedoch bisher noch wenig beachtet. Dieser Beitrag zielt darauf, die Bedeutung und Vielfalt des Themas herauszuarbeiten und zu einer weiteren Auseinandersetzung anzuregen. Eine umfassende Bearbeitung ist in diesem Rahmen nicht möglich, daher werden am Beispiel von zwei Gruppen Einblicke in die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung gewährt und Handlungserfordernisse für die Pflege(wissenschaft) aufgezeigt.

Pflege von Menschen mit Demenz

Sabine Bartholomeyczik und Margareta Halek

Die Pflege von Menschen mit Demenz erfordert insbesondere eine wertschätzende Grundhaltung und die Fähigkeit, Wege zum Verständnis ihrer Verhaltensweisen zu finden. Trotz fortschreitender Krankheit muss sich die Lebensqualität von Menschen mit Demenz nicht verschlechtern. Spezifische Maßnahmen, die in der Pflege gerne angewandt werden, sind entweder wenig oder schlecht untersucht, was an der Komplexität des Objekts liegt, für das viele übliche Forschungsmethoden oft wenig geeignet sind. Relativ gut nachgewiesen ist, wie Angehörige in der häuslichen Pflege von Menschen mit Demenz gut unterstützt werden können. Versorgungsstrukturen haben in den vergangenen Jahren die Dichotomie zwischen häuslich und stationär mit Tageseinrichtungen, niederschwelligen Angeboten und Wohngemeinschaften aufgebrochen. Nach wie vor ist unklar, ob segregierte Wohneinheiten für Menschen mit Demenz in der Langzeitpflege besser geeignet sind als integrierte.

Pflegebedürftige mit komplexem therapeutisch-technischem Unterstützungsbedarf am Beispiel beatmeter Patienten

Michael Ewers und Yvonne Lehmann

Die Zahl Pflegebedürftiger mit komplexem therapeutisch-technischem Unterstützungsbedarf steigt. Deren pflegerische Versorgung erfolgt überwiegend in Privatwohnungen oder Wohngemeinschaften, seltener in Langzeitpflegeeinrichtungen. Der Beitrag thematisiert die Situation und den Bedarf dieser Teilgruppe von Pflegebedürftigen sowie aktuelle Herausforderungen in der pflegerischen Spezialversorgung am Beispiel beatmeter Patienten.

Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund

Hürrem Tezcan-Güntekin und Oliver Razum

Die Zahl Pflegebedürftiger mit Migrationshintergrund wird in den kommenden Jahren ansteigen. Die Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppe sind heterogen. Pflegerische Versorgungsstrukturen sollten nicht auf spezifische Bedürfnisse von Personen bestimmter Herkunft ausgerichtet sein, sondern die Vielfalt in der Bevölkerung sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund berücksichtigen. Die Sensibilisierung der Wahrnehmung von Pflegefachpersonen gegenüber individuellen Bedürfnissen pflegebedürftiger Personen und die kontinuierliche (Weiter-)Entwicklung einer diversitätssensiblen Haltung sollten gefördert werden, um eine bedürfnisorientierte Pflege unterschiedlicher Menschen zu gewährleisten.

Technikeinsatz bei Pflegebedürftigkeit

Uwe Fachinger

Kommunikationstechnologien (IKT) – hat innerhalb des letzten Jahrzehnts zu einer zunehmend stärkeren Verwendung technischer Assistenzsysteme im Gesundheitswesen geführt. eHealth als Sammelbegriff für den Einsatz von Technik in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung ist zu einem feststehenden Begriff geworden. Der Beitrag gibt einen Überblick über diese Entwicklungen. Dabei werden aktuelle Begriffe wie zum Beispiel AAL (ambient assisted living = alltagsunterstützende Assistenzlösungen) oder eCare exemplarisch veranschaulicht und Entwicklungsschwerpunkte vorgestellt. Es wird auf die Chancen und Schwächen der neuen Techniken eingegangen sowie diskutiert, wie sie als Regelleistungen verankert werden könnten.

Sicherung und Koordination der (zahn-)ärztlichen Versorgung bei Pflegebedürftigkeit

Heinz Rothgang

Pflegebedürftige, insbesondere Heimbewohner, weisen niedrigere Kontaktquoten zu bestimmten Fachärzten und Zahnärzten auf als Nicht-Pflegebedürftige gleichen Alters. Dies kann als Indiz für eine mögliche Unterversorgung gedeutet werden. Um ihre Versorgung zu verbessern, hat der Gesetzgeber zusätzliche Vergütungsmöglichkeiten für Zahnärzte und die Verpflichtung zu einer organisierten Kooperation von Pflegeheimen und Ärzten geschaffen. Allerdings wurden Kooperationsverträge bislang fast ausschließlich mit Zahnärzten geschlossen. Für die hausärztliche Versorgung bieten sich eher Verträge über besondere ambulante Versorgung an, die bei Modellprojekten gut funktionieren. Darüber hinaus muss Hausärzten und Heimmitarbeitern die Notwendigkeit fachärztlicher Versorgung auch für Heimbewohner vermittelt werden und für Fachärzte sichergestellt werden, dass sich Hausbesuche rechnen. Hierfür sind womöglich weitere Gebührenordnungsziffern zu schaffen. Für Pflegebedürftige in häuslicher Pflege zeigen sich Versorgungsdefizite insbesondere in der zahnärztlichen Versorgung. Damit der im GKV-VSG für diese Zielgruppe neu eingeführte Anspruch auf zahnmedizinische Individualprophylaxe Abhilfe schaffen kann, müssen Delegationsmöglichkeiten geschaffen werden. Diese sollten es (weitergebildeten) zahnmedizinischen Fachangestellten erlauben, Pflegebedürftige aufzusuchen und sie so wieder einer zahnmedizinischen Versorgung zuzuführen.

Psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung von Pflegebedürftigen

Hans Gutzmann, Martina Schäufele, Eva-Marie Kessler und Michael A. Rapp

Leitlinienempfehlungen zur Versorgung von hochbetagten und pflegebedürftigen Menschen stehen in Kontrast zur Versorgungsrealität, die für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen so ungünstig wie für keine andere Altersgruppe ausfällt. Bei weit über der Hälfte der Heimbewohner dominiert unter den psychischen Störungen das demenzielle Syndrom, gefolgt von affektiven und wahnhaften Störungen. In der fachärztlichen Versorgung kehrt sich diese Reihenfolge unter zusätzlicher Benachteiligung höherer Altersgruppen um. Eine spezifische psychotherapeutische Versorgung dieses Klientels findet praktisch nicht statt. Ursachen für diese Nicht-Versorgung sind wahrscheinlich nicht zuletzt defizitorientierte Altersbilder bei allen Beteiligten. Die psychiatrische Versorgung von Pflegebedürftigen zeichnet sich bei uns durch wenig Phantasie und innovativen Mut sowie durch mangelnde Umsetzung evidenzbasierter Empfehlungen aus.

Einsatz von Psychopharmaka bei Pflegebedürftigen

Petra A. Thürmann

Die Anwendung von Psychopharmaka bei Pflegebedürftigen, insbesondere Patienten mit Demenz in häuslicher und institutioneller Pflege, liegt in Deutschland in etwa im Bereich eines europäischen Vergleichs. Etwa die Hälfte aller Heimbewohner erhält mindestens ein Psychopharmakon, der größte Anteil davon sind Neuroleptika zur Behandlung von auffälligem Verhalten bei Demenz. Viele Psychopharmaka sind auf der PRISCUS-Liste und werden als potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen angesehen, deren Einnahme mit einem erhöhten Risiko für Morbidität und Mortalität assoziiert ist. Die Gabe von Benzodiazepinen wird in der aktuellen S3-Leitlinie Demenzen und auch internationalen Empfehlungen als letzte Option bei Schlafstörungen gesehen. Für Antidepressiva besteht nur wenig Evidenz und Neuroleptika sollten nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Es existiert eine Diskrepanz zwischen den restriktiven Anwendungsempfehlungen dieser Medikamente und der tatsächlichen Verordnungsprävalenz.

Herausforderndes Verhalten bei Demenz: Die Sicht der Pflege

Antje Schwinger, Chrysanthi Tsiasioti und Jürgen Klauber

Demenziell Erkrankte zeigen häufig psychische und Verhaltenssymptome, die auch als „herausforderndes Verhalten“ bezeichnet werden. Begegnet werden kann diesen Symptomen mit nichtmedikamentösen Ansätzen oder mit Psychopharmaka, wobei Letztere insbesondere bei leichten bis mittelschweren Symptomen nicht die erste Therapiewahl sein sollten. Für Pflegekräfte gehört der Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Demenz zum Arbeitsalltag. Im Rahmen einer Befragung wurden Pflegefachkräfte über Verbreitung und Einstellungen zu nichtmedikamentösen und medikamentösen Ansätzen befragt. Im Ergebnis zeigt sich, dass nichtmedikamentöse Interventionen im Arbeitsalltag zu einer breiten Anwendung kommen, der Umfang des Einsatzes von Psychopharmaka aber trotz hoher beobachteter Verordnungsraten eher unkritisch gesehen wird.

Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus: Von der Diskrepanz zwischen innovativen Ansätzen und Versorgungsrealität

Sabine Kirchen-Peters

Der Beitrag befasst sich mit der Versorgung von Menschen mit Demenz in deutschen Akutkliniken. Zunächst wird erläutert, in welchem Umfang kognitive Störungen und Demenzen im Krankenhaus auftreten. Im Anschluss geht es darum, inwieweit das Personal und die Organisation Krankenhaus auf diese Patientengruppe eingestellt sind und welche Probleme in der Behandlung auftreten. Der Artikel diskutiert in der Folge, warum positive Erfahrungen von Modellprojekten in Aktkrankenhäusern nicht aufgegriffen werden und zeigt Umsetzungsbarrieren auf, die in den politischen und sozialrechtlichen Rahmenbedingungen, den Organisationsstrategien der Kliniken und den subjektiven Haltungen von Ärzten und Pflegekräften wurzeln. Schließlich werden Ansätze Guter Praxis wie gerontopsychiatrische Konsiliar- und Liaisondienste oder spezielle Abteilungen für Demenzkranke vorgestellt.

Palliativversorgung von pflegebedürftigen Menschen

Sabine Pleschberger und Gabriele Müller-Mundt

Palliative Care hat sich in den vergangenen 25 Jahren zu einem festen Bestandteil im Sozial- und Gesundheitswesen entwickelt. Sie zeichnet sich durch „radikale“ Patientenzentrierung und Familienorientierung aus und zielt auf die Erhaltung von Würde und Lebensqualität. Neben dem Schaffen flächendeckender spezialisierter Versorgung geht es aktuell um das Zueinander von spezialisierter und Grundversorgung und die frühzeitige Integration von palliativen Versorgungsansätzen im Krankheitsverlauf. In dem Beitrag wird eine Übersicht über Konzept und Strukturen gegeben und die Inanspruchnahme ausgewählter Angebotsformen in den Blick genommen, was schließlich zu einigen Forschungsdesideraten führt.

Der Zustand Pflegebedürftigkeit – Pflege und Versorgungsprobleme geriatrischer Patienten

Nils Lahmann, Ursula Müller-Werdan, Kathrin Raeder, Simone Kuntz und Antje Latendorf

Obwohl enorme Anstrengungen bei der Überprüfung der Pflegequalität unternommen wurden, gibt es in Deutschland nur wenige epidemiologische Studien zum tatsächlichen Auftreten von geriatrischen Pflegeproblemen. Daher war das Ziel dieser Studie, die Prävalenzen kognitiver Beeinträchtigung, Dekubitus, Sturz, Immobilität, Harninkontinenz und Mangelernährung bei geriatrischen und nicht geriatrischen Patienten in deutschen Krankenhäusern zu quantifizieren. Es erfolgte eine sekundäre Datenanalyse von 12.370 Patienten aus fünf jährlich aufeinanderfolgenden multizentrischen Querschnittsstudien in den Jahren 2008–2012. Verglichen wurden die Altersgruppen bis 65 Jahre, 70–79 Jahre sowie 80 Jahre und älter. Das Ergebnis: Patienten über 80 Jahre hatten die höchste Prävalenz im Vergleich zu jüngeren Patienten: Inkontinenz 44 Prozent kognitive Einschränkungen 21 Prozent, Immobilität 16 Prozent, Dekubitus 11 Prozent, Mangelernährung 10 Prozent und Sturz 7 Prozent. Hochprävalente Pflegeprobleme zeigten sich bei über 80-jährigen Patienten gegenüber unter 70-jährigen Patienten vierfach (Harninkontinenz) bis siebenfach (kognitive Einschränkungen) häufiger und erfordern große zeitliche und personelle Ressourcen.

Gewalt in der Versorgung von Pflegebedürftigen

Beate Blättner und Henny Annette Grewe

Gewalt in der Pflege kann schwerwiegende Folgen für die gesundheitsbezogene Lebensqualität Pflegebedürftiger und für die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte haben. Prävalenzen sind kaum solide zu erheben; das Wissen um die Wirksamkeit von Prävention ist unzureichend. In den deutschen Versorgungsstrukturen werden einige Anstrengungen zur Prävention unternommen. Es ist unklar, inwieweit sie erfolgreich implementiert sind. Für die stationäre Pflege kann das Präventionsgesetz neue Impulse bringen.

Schnittstellenprobleme bei der gesundheitlichen Versorgung von Pflegebedürftigen

Klaus Jacobs und Stefan Greß

Seit Einführung der Pflegeversicherung als eigenständigem Zweig der Sozialversicherung gibt es Schnittstellenprobleme, die zu Unter- und Fehlversorgung bei der Versorgung von Pflegebedürftigen führen. Dies gilt insbesondere für die gesundheitliche Versorgung in Pflegeheimen, aber auch für die Versorgung mit rehabilitativen Leistungen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit. Die Ursachen für diese Versorgungsdefizite liegen vor allem in den völlig unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien von Pflege- und Krankenversicherung. Die bisherigen Versuche des Gesetzgebers zur Überwindung der Schnittstellenprobleme hatten keinen nennenswerten Erfolg. Anzustreben ist aus Sicht der Autoren zum einen eine Bündelung der Sicherstellungsverantwortung für pflegebedürftige Menschen, die in aller Regel zugleich chronisch krank oder multimorbide sind, sowie zum anderen die finanzielle Beteiligung der Pflegeversicherung an den Kosten der geriatrischen Rehabilitation.

Versorgungsübergänge im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung

Ilse Heberlein und Ingo Heberlein

Versorgungsübergänge im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung sind bei unzureichendem Schnittstellenmanagement mit dem Risiko gesundheitlicher und sozialer Probleme sowie erheblicher Folgekosten verbunden. Trotz eines gesetzlichen Sachleistungsanspruchs der Versicherten gegen die Krankenkassen und der Pflicht zur Sicherstellung eines Entlassmanagements durch vertragliche Regelungen fehlt es an einer durchgehenden Versorgung. Der Expertenstandard Entlassungsmanagement in der Pflege des DNQP wird nur in knapp der Hälfte der Kliniken umgesetzt. Vor diesem Hintergrund hat der G-BA eine Konzeptskizze für ein Qualitätssicherungsverfahren beauftragt. Das AQUA-Institut ermittelte Potenziale zur Qualitätsverbesserung und -sicherung unter anderem bei patientenrelevanten Endpunkten, strukturellen Rahmenbedingungen sowie zum Erkennen von Versorgungsrisiken und Unterstützungsbedarfen und empfiehlt die Entwicklung eines QS-Verfahrens zum Entlassungsmanagement.

Rehabilitationspotenziale zur Vermeidung, Verzögerung und Verminderung von Pflegebedürftigkeit im Alter – Wie weit hilft die Evidenz?

Norbert Lübke

Ein Übersichtsgutachten des Kompetenz-Centrums Geriatrie des GKV-Spitzenverbandes und der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung bestätigt anhand systematischer Literaturrecherchen von 34 systematischen Reviews die generelle Wirksamkeit rehabilitativer Maßnahmen auch bei hochaltrigen und pflegebedürftigen Menschen bezogen auf Mortalität, Heimaufnahmerate, Pflegeabhängigkeit und funktionales Outcome/Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL). Dies stützt die Notwendigkeit der strukturellen Vorhaltung entsprechender Leistungsangebote und die sozialmedizinische Verantwortung, nach entsprechenden Potenzialen dieser Zielgruppe systematisch zu suchen. Die Komplexität rehabilitativer Interventionen selbst wie ihres jeweiligen Erbringungskontextes grenzt den Umsetzungsnutzen dieser externen Evidenz für individualisierte Rehabilitationsempfehlungen im Sinne interner Evidenz allerdings erheblich ein. Die vorliegende externe Evidenz kann daher im Rahmen der individuellen Rehabedarfsfeststellung zusätzliche normative Leitplanken, Schulungen, Supervision und Praxiserfahrung nicht ersetzen.

Integrierte Versorgungskonzepte für Pflegebedürftige

Mathias Fünfstück

Pflege in der Integrierten Versorgung wird seit Einführung der hierfür relevanten gesetzlichen Grundlagen kontrovers diskutiert. Als bedeutsame Akteure im Gesundheitswesen nehmen Pflegende und Pflegeeinrichtungen an der Integrierten Versorgung teil, entfalten jedoch noch nicht das ihnen zur Verfügung stehende Potenzial, um Integrierte Versorgung zu gestalten und zu organisieren. Ausgehend von den Ergebnissen einer systematischen Literaturrecherche skizziert das Kapitel den Hintergrund und die gesetzlichen Grundlagen der Integrierten Versorgung in Deutschland mit dem Fokus auf der Einbettung von Pflege im Versorgungsprozess. Unter Betonung von Anlässen, Möglichkeiten und Innovationen zur Übernahme einer aktiven Rolle in der Integrierten Versorgung werden Praxisbeispiele umrissen sowie ein Ausblick auf (forschungsgeleitete) Strategien zur Weiterentwicklung der Rolle der Pflege in der Integrierten Versorgung vorgeschlagen.

Teil II Daten und Analysen

Pflegebedürftigkeit in Deutschland

Antje Schwinger, Kathrin Jürchott, Chrysanthi Tsiasioti

Der Beitrag liefert ein ausführliches Bild zum Stand der Pflegebedürftigkeit in Deutschland sowie zur gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen. Die Analysen basieren auf standardisierten AOK-Daten und zeigen Pflegeprävalenz, Pflegeverläufe und Pflegeversorgungsformen auf. Darüber hinaus werden Kennzahlen zur gesundheitlichen Versorgung der Pflegebedürftigen ausgewiesen. Im Fokus stehen die Inanspruchnahme von ärztlichen und stationären Leistungen und mit Blick auf risikobehaftete Arzneimittelverordnungen Polymedikation, Verordnungen gemäß der PRISCUS-Liste sowie die Verordnungsraten von Psychopharmaka. Die Ergebnisse werden jeweils der Versorgung der Nicht-Pflegebedürftigen gleichen Alters gegenübergestellt und nach Schwere der Pflege und den spezifischen Versorgungssettings unterschieden.